Omri Boehm, israelischer Philosoph und politischer Rebell,
Omri Boehm, israelischer Philosoph und politischer Rebell, sorgt in Österreich für Aufregung.
IMAGO/dts Nachrichtenagentur

Omri Boehm darf am Dienstagabend auf dem Wiener Judenplatz sprechen. Seine "Rede an Europa" wurde weder untersagt noch abgesagt. Aber angesichts der massiven Angriffe vor allem aus der Wiener jüdischen Gemeinde haben sich das Jüdische Museum und die Erste-Stiftung vom Auftritt des israelischen Philosophen zurückgezogen, die Wiener Festwochen und die Stadt Wien werden von Kultusgemeinde und Regierung immer lauter attackiert. Diese kleine Wiener Kontroverse ist symptomatisch für eine größere besorgniserregende Entwicklung.

Denn Boehm vertritt, so wie viele andere israelische und jüdische Intellektuelle, Positionen, die denen der heutigen Regierung und der Bevölkerungsmehrheit in Israel diametral entgegenstehen. Er sieht die einzige Chance für ein Ende der Besatzung in einem binationalen Staat, er wehrt sich gegen die Instrumentalisierung des Holocaust-Gedenkens zur Rechtfertigung einer völkerrechtswidrigen Politik. Und das macht ihn in der aufgeheizten Atmosphäre seit dem Hamas-Massaker vom 7. Oktober zum Feind Israels, ja sogar zum verkappten Antisemiten, seine Rede auf dem Judenplatz zur Schändung des Shoah-Gedenkens.

In Kants Tradition

All das ist maßlos überzogen, ja völlig fehlgeleitet. Man muss Boehms Ansichten nicht teilen, aber er ist ein durch und durch legitimer Vertreter einer universalistischen Philosophie in der Tradition Immanuel Kants, die alle Menschen als gleichwertig sieht. Und seine Analyse des Konflikts ist vernünftiger als viele offizielle Stellungnahmen.

Ob man es will oder nicht, mit der Kampagne gegen Boehm und andere intellektuelle Rebellen wird das Geschäft der israelischen Rechten betrieben, die seit Jahren versucht, Kritik an ihrer Politik mit Israel-Feindlichkeit und diese mit Antisemitismus gleichzusetzen. Und sie hat damit viel Erfolg, in Deutschland und Österreich, auch in den USA. So traut sich etwa Premier Benjamin Netanjahu zu behaupten, Israels blutige Militäraktion im Gazastreifen werde nur kritisiert, "weil wir Juden sind". Stimmen des Ausgleichs im Nahostkonflikt und Kritiker der jahrzehntelangen Besatzungspolitik werden delegitimiert, die nationalistischen Kräfte in Israel gestärkt.

Verhärtung, Hass und Krieg

Die zunehmende Unerbittlichkeit im weltweiten Diskurs spiegelt sich auch auf der Seite der meisten propalästinensischen Demonstranten wider, die Israel ohne Beleg Genozid vorwerfen, die Brutalität und den Fanatismus der Hamas ignorieren und Israel als illegitimes koloniales Gebilde verunglimpfen. Sie rufen nach einem Boykott israelischer Universitäten, die Hochburgen des Widerstands gegen die Regierungslinie sind. Damit schwächen sie Israels linke Opposition und nähren bei vielen Palästinensern die Hoffnung, dass Israel eines Tages doch noch verschwinden könnte und sie sich die schmerzhaften Kompromisse, die eine Friedenslösung verlangt, ersparen können. Das führt zur Verhärtung der Positionen, die Verhärtung führt zu Hass, und der Hass mündet in Krieg mit all seinen Opfern.

Deshalb ist es gut, dass Boehm am Dienstag trotz all des Gegenwinds sprechen wird. Der Judenplatz mit seinen Andenken an den mittelalterlichen Antisemitismus und der Gedenkstätte für den Holocaust ist der richtige Platz, um seine streitbaren Ansichten zu hören, denn Boehms Visionen für die Zukunft wurzeln in der Vergangenheit. Es ist ein winziger Schritt in die richtige Richtung. (Eric Frey, 6.5.2024)