Ein Stau mit vielen Autos.
Der VW-Abgasskandal gilt mittlerweile als Paradebeispiel dafür, wie schwierig Sammelklagen nach der aktuellen Rechtslage sind. Künftig dürfte sich die Situation für Verbraucher deutlich verbessern.
IMAGO/Joeran Steinsiek

Spät, aber doch noch vor der Wahl werden Österreichs Verbraucherinnen und Verbraucher ein mächtiges Werkzeug in die Hand bekommen: Das grüne Justizministerium hat vergangene Woche einen Gesetzesentwurf für die Umsetzung der EU-Verbandsklagenrichtlinie vorgelegt, der hierzulande erstmals eine "echte" Sammelklage einführen wird. Für Konsumenten wird es damit deutlich einfacher, gesammelt Ansprüche gegen Unternehmen geltend zu machen – zum Beispiel bei versteckten Zusatzkosten in Fitnessstudios, zu hohen Bankgebühren oder bei unzulässigen Strompreiserhöhungen.

Laut den Vorgaben der EU-Richtlinie hätte das österreichische Umsetzungsgesetz eigentlich bereits Ende 2022 beschlossen und Mitte vergangenen Jahres in Kraft treten müssen. Die EU-Kommission führt deshalb bereits seit über einem Jahr ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Republik. Österreich ist derart spät dran, dass Gerichte in einem Verfahren des Verbraucherschutzvereins (VSV) die EU-Richtlinie direkt angewendet haben – eine Vorgangsweise, die nur in absoluten Ausnahmen erlaubt ist. Nach jahrelangen Verhandlungen konnten sich ÖVP und Grüne nun offenbar doch noch einigen. Die Begutachtungsfrist läuft bis 27. Mai.

Revolution in Österreich

Klassische Sammelklagen wie in den USA, mit denen Verbraucher geschlossen vor Gericht ziehen können, gibt es in Österreich bis dato nicht. Derzeit dürfen zwar Organisationen wie der Verein für Konsumenteninformation (VKI) mit Verbandsklagen gegen Vertragsklauseln von Unternehmen vorgehen. Ergeben sich dadurch konkrete Ansprüche – etwa auf die Rückzahlung zu viel bezahlter Gebühren –, muss das Geld aber grundsätzlich einzeln eingeklagt werden.

Hierzulande behalf man sich bislang mit der "Sammelklage österreichischer Prägung". Konsumenten treten dabei ihre Ansprüche an Institutionen ab – etwa an den VKI oder an einen Prozessfinanzierer. Erst in einem zweiten Schritt werden die Ansprüche gesammelt bei Gericht eingeklagt. Die neue EU-Sammelklagerichtlinie soll das System deutlich vereinfachen. Ausgewählte Institutionen dürfen künftig direkt und gebündelt Ansprüche geltend machen.

Kosten von maximal 250 Euro

Geplant ist laut dem Gesetzesentwurf nun ein sogenanntes Opt-in-Verfahren: Lanciert etwa der VKI eine Klage, können sich Einzelpersonen dem Prozess anschließen. Der Entwurf sieht eine Mindestzahl von 50 Klägerinnen und Klägern vor. Zudem soll die neue Verbandsklage einen breiten Anwendungsbereich bekommen und nicht nur in EU-Rechtsmaterien möglich sein, sondern auch bei Ansprüchen, die auf rein nationalen Rechtsgrundlagen basieren.

Neben Organisationen wie dem VKI und der Arbeiterkammer bekommen künftig private Verbände das Recht, Klagen einzubringen, wenn sie im Vorfeld eine Lizenz beim Bundeskartellanwalt einholen und gemeinnützig tätig sind. Damit wird aller Voraussicht nach auch der private Verbraucherschutzverein (VSV) Verbandsklagen lancieren können.

Die Verfahren müssen laut dem Gesetzesentwurf von der klagenden Organisation und vom Gericht bekannt gemacht werden. Verbraucherinnen und Verbraucher haben dann drei Monate lang Zeit, sich der Klage anzuschließen. Die Klagsorganisation darf eine Beitrittssumme von maximal 20 Prozent des geltend gemachten Anspruchs verlangen, die absolute Obergrenze liegt bei 250 Euro.

"Mit der vorgesehenen Regelung wäre es mit relativ wenig Kostenaufwand möglich, solche Verfahren zu führen", sagt Lukas Feiler, Rechtsanwalt bei Baker McKenzie. "Die Schwelle ist niedrig. Das ist gut für die Konsumentinnen und Konsumenten und für die Klagsorganisationen, aber tendenziell schlecht für die Unternehmen, die auf der Beklagtenseiten stehen." Laut Feiler ist die Neuregelung "definitiv attraktiver" als die bisherige Vorgangsweise bei Sammelklagen. Die Anzahl der Verfahren werde deshalb stark zunehmen.

Auch Petra Leupold, Leitern der Abteilung für Klagen beim VKI, sieht auf Anfrage "jedenfalls punktuelle Verbesserungen im Vergleich zur geltenden Rechtslage, was den Zugang zum Recht und die Möglichkeiten kollektiven Rechtsschutzes betrifft". Positiv sieht sie, dass Lücken geschlossen werden, etwa in den Bereichen Datenschutz, Telekom, Reise und Versicherungen. Die Mindestanzahl von 50 Verbrauchern findet Leupold dagegen nicht gerechtfertigt.

Keine EPUs als Kläger

Diskutiert wurde in den Gesetzesverhandlungen unter anderem, ob auch Ein-Personen-Unternehmen (EPUs) und Klein- und Mittelbetriebe (KMUs) von der neuen Sammelklage profitieren sollen. Dazu soll es nun nicht kommen. Der VSV kritisiert in einer Aussendung, dass sich die Wirtschaftskammer mit ihrem Standpunkt durchgesetzt habe, nur Verbrauchern die Sammelklage zu ermöglichen, obwohl 90 Prozent ihrer Mitglieder EPUs oder KMUs sind.

Die Kammer findet die Regelung dagegen konsequent. "Die Interessen von KMUs und Verbrauchern sind in der Regel nicht deckungsgleich", heißt es auf Anfrage. Zudem werde auch auf der Beklagtenseite nicht hinsichtlich der Größe der Unternehmen unterschieden. Ähnlich argumentiert Anwalt Feile: Dass die Neuregelung nur für Konsumenten, nicht aber für EPUs und KMUs gelten soll, findet er im Sinne des Wirtschaftsstandorts stimmig. "Für Unternehmen gibt es ja weiterhin die Möglichkeit, auf das frühere Modell der Sammelklagen zurückzugreifen." (Jakob Pflügl, 7.5.2024)