Der Blick aufs Handy ist allgegenwärtig. Man kann halt auch so viel auf dem smarten Begleiter machen, was Fluch und Segen zugleich ist.
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Wenn man 2007 oder 2008 ein iPhone in die Hand gedrückt bekommen hat, dann war das wie ein Weckruf. Auf einmal war das Internet in der Hosentasche, und mit dem zeitverzögerten App Store vervielfältigten sich die Möglichkeiten in damals ungeahnte Ausmaße. Seitdem werden Neuvorstellungen als Events gefeiert, und Firmen wie Samsung, Apple, Huawei zelebrieren Ankündigungen neuer Flagship-Modelle, als wäre es noch immer 2007.

Tatsächlich hat die Revolution von damals ein wenig an ihrem futuristischen Lack verloren. Doomscrolling, Hass im Netz, Datendiebstahl und ständige Erreichbarkeit. Immer mehr Menschen klagen über viele Aspekte der Onlinekommunikation, die uns diese für unser Leben so wichtigen Begleiter ermöglichen, aber auch aufbürden. Immer wieder gibt es deshalb den Versuch von Herstellern, "dumme" Klapphandys anzubieten, die auf Apps gänzlich verzichten.

Die Newtro-Welle, also die Kombination aus Neuem und Retro-Zeug, schwappt seit etwa sechs Jahren in die Bereiche Mode, Filme, Essen, Architektur, Musik und natürlich Elektronik. Der neueste Spross in Sachen Telefonie wurde letzte Woche auf der Mailänder Design Week vorgestellt. Das "Boring Phone" ist eine Kooperation zwischen Heineken und der Fashion-Kette Bodega und sorgte im Rahmen der Präsentation für neuen Gesprächsstoff, was das Thema betrifft.

Aber geht ein Leben ohne Smartphone in unserer Welt überhaupt noch? Ist die Idee eine romantisierte oder tatsächlich umsetzbar?

Suche nach Minimalismus

"Ich habe es immer gehasst, für jeden erreichbar zu sein", sagte Rana Ali kürzlich dem Guardian. Der 29-Jährige war Finanzangestellter, bis er sich als Musikproduzent und Rapper unter dem Namen Surya Sen einen Namen machte. Wie vielen anderen war ihm vor allem die Erwartungshaltung ein Dorn im Auge, immer sofort antworten zu müssen. Wenn man "jemandem eine Whatsapp schickt und er nicht sofort antwortet", hat man immer das Gefühl, es stimmt etwas nicht. Genau deshalb hat er jetzt auf ein "Burner Phone", ein Wegwerfhandy, gewechselt.

Im Vorjahr trendete diese Rückkehr zu "dummen" Telefonen sogar auf Tiktok. Mit dem Hashtag #BringBackFlippPhones sorgte die kurze Euphorie für einen steilen Anstieg bei Telefonen, die von Herstellern wie Punkt gern als "Feature Phones" oder "Minimalist Phones" betitelt werden. Eine völlige Umkehr in diese Richtung kann aber nicht beobachtet werden, teilte auch das englische Marktforschungsinstitut Mintel vor kurzem in einer Aussendung mit. Neun von zehn Telefonen seien noch immer Smartphones, wird dort erklärt.

Boring Phone
Das "Boring Phone" sieht gar nicht so langweilig aus, ist von den Möglichkeiten her aber – deshalb auch der Name –im Vergleich zu aktuellen Smartphones sehr eingeschränkt.
Heineken/Bodega

Überforderung

"Dennoch, es gibt Beweise dafür, dass beispielsweise die Generation Z ihr Smartphone-Verhalten verändert", erklärt der Marktforscher Joe Birch dem Guardian. Das stärkste Argument für diesen Wandel seien die "negativen Einflüsse des ständigen, digitalen Erreichbarseins". Laut dem Forscher wollen drei von fünf Gen-Z-Vertretern weniger mit der digitalen Welt verbunden sein als bisher.

Tatsächlich macht sich das mittlerweile auch in Zahlen bemerkbar. Seit 2021 schafft es zumindest diese eine Generation, ihre Zeit auf Social Media kontinuierlich nach unten zu schrauben. Auch bei den Älteren unter uns macht sich eine gewisse Müdigkeit breit, was das ständige Kleben am Smartphone betrifft. Aber es lohnt sich, sagen Experten. "In den ersten Stunden fühlt man eine Leere in sich", erklärt etwa der Marktforscher Lars Sleberbauer, "aber dann lernt man sich wieder besser auf andere Dinge zu fokussieren, die man früher einmal gemacht und genossen hat."

Das bestätigt auch Barbara Buchegger von Saferinternet.at, die sich primär mit den jüngeren Generationen beschäftigt. Laut der Expertin gehe es den Jugendlichen auch immer mehr darum, "die Zeitfresser aus dem eigenen Leben zurückzudrängen". Das sei aber nicht einfach, würden doch viele Apps "dark patterns" nutzen, also Designs, die Verhaltensanomalien ausnutzen und den Nutzer so zu einem "für ihn nachteiligen Verhalten steuern". Auch deshalb ist es so schwierig, das Lieblingsspiel einfach einmal sein zu lassen oder Kurzvideodienste wie Tiktok oder Instagram nur kurz nutzen zu können.

Kein Auskommen

Der tatsächliche Umstieg auf ein "dummes Telefon" ist aber kein leichter, selbst wenn man sich emotional von den Fängen der Social-Media-Welt befreit hat. Zwei-Faktor-Authentifizierung, Abstimmung mit Eltern oder anderen Schülern in Whatsapp-Gruppen sowie QR-Codes, um Links zu wichtigen Dokumenten zu öffnen – von heute auf morgen das Smartphone gegen ein anderes Telefon mit weit weniger Funktionen einzutauschen würde viele Nachteile mit sich bringen, die der Mainstream wohl so bald nicht in Kauf nehmen wird oder in Kauf nehmen kann.

Somit kann man wohl nur selbst die Möglichkeiten des eigenen Smartphones einschränken. Immer wieder liest man Wortmeldungen von Menschen, die die Anzahl an Apps auf ihrem Smartphone stark reduziert haben. Auch das Abdrehen von Pushnachrichten wird immer wieder als kleiner Trend oder Tipp erkannt, um das eigene Stresslevel zu senken.

"Multitasking ist ein Mythos", war schon 2012 in einem dazu passenden Artikel bei der Zeit zu lesen, und auch in Führungsseminaren wird dieser Satz auch heute noch gepredigt. Die gleichzeitige Arbeit an mehreren Aufgaben führt zu einem erheblichen Konzentrations- und Leistungsverlust, und Stress macht vergesslich. Wer ständig am Smartphone hängt, wird diese Dinge vielleicht bestätigen können. Diese ständigen Begleiter mit all ihren Möglichkeiten verführen uns zu diesem Multitasking, zu dieser Second-Screen-Mentalität und zu diesem Immer-erreichbar-Sein. Die Frage bleibt, wie viele Menschen noch von einer damit verbundenen Überforderung berichten müssen, bis etwas passiert. Die Nachfrage nach „Dumbphones" sei in Österreich in jedem Fall nicht feststellbar, wie uns ein Sprecher des heimischen Mobilfunker Magenta verrät. "Einfache Tastenhandys werden primär von Seniorinnen und Senioren oder deren Angehörigen erworben,“ heißt es.

Vielleicht braucht es tatsächlich keine dümmeren Telefone, sondern einfach schlauere, besser in sich hineinhörende Menschen. (Alexander Amon, 29.4.2024)