Multimilliardäre wie Red-Bull-Erbe Mark Mateschitz zahlen niedrigere Steuersätze als Mittelstandsfamilien. Das ist das Ergebnis einer Studie, an der die Schweizer Ökonomin Isabel Martínez mitgewirkt hat. Im Interview erklärt sie den Charme einer Vermögenssteuer.

STANDARD: Was wäre der größte Vorteil einer Vermögenssteuer?

Martínez: Dass sie die Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit garantiert. Die Idee ist, dass jemand mit einer höheren wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit mehr zahlt als jemand mit einer niedrigeren.

Die Ökonomin Isabel Martínez hat lange blonde Haare, eine rote Brille und trägt ein petrolfarbenes Oberteil.
Isabel Martínez hält vieles beim Thema Vermögenssteuern für eine Frage der Ausgestaltung.
Florian Bachmann

STANDARD: Ist das jetzt nicht so?

Martínez: Nicht unbedingt, weil die Steuersysteme auf das Gros der Menschen ausgerichtet sind, die Arbeitseinkommen haben. Ein kleiner, aber sehr reicher Teil hat eine andere Einkommensstruktur. Weil sie Unternehmer sind, weil sie große Vermögen haben. Die fallen zwischen Stuhl und Bank bei der Einkommenssteuer: Allein mit der Einkommenssteuer ist ihre Steuerlast tiefer als die einer Familie des oberen Mittelstands. Eine Vermögenssteuer kann für einen Ausgleich sorgen.

STANDARD: Was spricht gegen eine Vermögenssteuer?

Martínez: Sparanreize können gemindert werden, das muss man bei der Ausgestaltung beachten. Angenommen die Freigrenze läge sehr tief, zum Beispiel bei 10.000 Euro, und der Steuersatz sehr hoch bei zwei Prozent. Wer würde da noch für größere Anschaffungen oder fürs Alter sparen wollen? In der Schweiz ist zum Beispiel Alterssparen ausgenommen. Man will, dass ich für mein eigenes Alter auch noch etwas auf die Seite lege.

STANDARD: Wird das Eigenheim in der Schweiz in das Vermögen miteingerechnet?

Martínez: Ja, wird es. Auch wenn ich eine Yacht in Nizza oder ein Strandhaus auf Ibiza habe. Das Einzige ist, dass der Wert des Eigenheims nicht zum Marktwert besteuert wird, sondern zum Steuerwert. Und der ist tiefer.

STANDARD: Um wie viel tiefer?

Martínez: Die Idee wäre, dass dieser bei mindestens 70 Prozent liegt. Bei einem Eigenheim im Wert von einer Million zahle ich Vermögenssteuer, als würde ich 700.000 Franken besitzen. Wenn ich ein Aktienportfolio habe, das eine Million wert ist, zahle ich Vermögenssteuer auf eine Million. Ich finde diese Ungleichbehandlung nicht ideal. Aber das ist der politische Wille, Wohneigentum zu fördern.

STANDARD: Bei Landwirten zum Beispiel vermischt sich beim Vermögen Privates mit Betrieblichem. Wie regelt man das?

Martínez: Der Wert von Landwirtschaftsflächen wird nach deren Ertragswert berechnet. Weniger ertragreiches Land ist dann auch weniger wert – und stets weniger wert als Bauland. Die Frage impliziert zudem, dass Landwirte auch eine Kapitalsteuer und dann nochmal eine Vermögenssteuer zahlen müssen. Das ist aber nur der Fall, wenn der Betrieb als AG oder GmbH geführt und eine Kapitalsteuer für Körperschaften erhoben wird. Letztere ist meiner Meinung nach wenig sinnvoll.

STANDARD: In Österreich sagen viele, Vermögenssteuern sind administrativ nicht machbar. Wie funktioniert es in der Schweiz?

Martínez: Dass Vermögenssteuern administrativ nicht machbar sind, ist gerade in Österreich absolut unverständlich. Die Schweiz hat noch immer ein Bankgeheimnis im Inland. Das heißt, meine Bank meldet mein Konto nicht der Steuerbehörde. Ich muss selbst den Kontostand am 31. Dezember und die Erträge sowie alle Aktien in meinem Besitz angeben. Quellensteuern setzen Anreize, die Konten zu deklarieren. Durch die Digitalisierung ist zudem vieles einfacher geworden, und die Steuererklärung kann online ausgefüllt werden.

STANDARD: Was ist in Österreich anders?

Martínez: In Österreich gibt es viel mehr automatisches Reporting. Zum Beispiel dass Gewerkschaftsbeiträge über den Arbeitgeber eingezogen werden und dieser das der Steuerbehörde meldet. Das wäre undenkbar in der Schweiz. Ja, es gibt einen Initialaufwand, aber das ist kein Argument gegen die Machbarkeit.

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STANDARD: Und der Anreiz für Steuerhinterziehung durch eine Vermögenssteuer?

Martínez: Auch das ist kein Argument. Wir sagen auch nicht: "Es ist unmöglich, alle Straßen zu kontrollieren, weshalb haben wir überhaupt eine Maximalgeschwindigkeit?" Wenn man zudem davon ausgeht, dass Leute Vermögenssteuern hinterziehen, kann man annehmen, sie verstecken jetzt schon ihre Kapitaleinkommen. Ist die Schlussfolgerung daraus eine bessere Durchsetzung der Steuergesetze oder die Abschaffung der Besteuerung von Kapitaleinkommen?

STANDARD: Beate Meinl-Reisinger von den Neos hat vorgeschlagen, dass alle 18-Jährigen ein zweckgewidmetes staatliches Grunderbe bekommen sollen. Was halten Sie davon?

Martínez: Ich finde ein Grunderbe grundsätzlich eine interessante Idee. Wenn wir jemandem aus bescheidenen Verhältnissen mit 20 Jahren 20.000 Euro geben, dann ist es für die Person viel Geld. Vielleicht kann sie sich mit diesem Geld dann beruflich selbstständig machen oder eine Ausbildung bezahlen, die sich sonst nicht leisten könnte.

STANDARD: Inwiefern?

Martínez: So ein Erbe kompensiert nicht, dass jemand eine schlechtere Schulbildung hatte, zum Beispiel auf Schulen mit schlechten Lehrern oder großen Klassen. Die Gefahr besteht, dass manchen dadurch das Hochschulstipendium gestrichen wird, weil sie nicht mehr mittellos sind. Im Umkehrschluss: Wenn ein anständiges Stipendienwesen existiert, könnten fähige Leute jetzt schon auf die Uni gehen. (Sarah Kirchgatterer, 29.4.2024)