"Würden Sie uns helfen?" Diese Frage stand am Ende einer ersten telefonischen Kontaktaufnahme, die zu einem ganz besonderen, sehr intensiven und in vielerlei Hinsicht spannenden Mediationsfall führen sollte, der irgendwie so ganz anders als andere verlaufen sollte und dann doch wieder in vertraute Bahnen mündete.

Die Kontaktaufnahme

Der Anrufer, nennen wir ihn Peter, schilderte das folgende Bild: Der Vater war verstorben und hinterließ vier Kinder: Claudia, Elvira, Peter und Robert. Es gab kein Testament, das die Rechtsnachfolge geklärt hätte, sodass grundsätzlich das gesetzliche Erbrecht zum Tragen kam. Da die Erbschaft aber nicht primär aus Barvermögen, sondern aus mehreren Grundstücken in teilweise bester Lage bestand, gab es unmittelbaren Gesprächsbedarf.

Wie dringend dieser sein sollte, stellte sich erst in weiterer Folge des Gesprächs heraus. Immerhin stand für einen begrenzten Zeitraum ein Interessent für eine Liegenschaft parat, dessen Zusage den Geschwistern einen großen finanziellen Spielraum ermöglicht hätte. Daher ergab sich die Bitte, die Termine relativ knapp aufeinanderfolgen zu lassen. Die räumliche Distanz der Geschwister sollte weiters bedingen, dass die ganze Mediation ausschließlich im virtuellen Raum durchgeführt wurde. (Auf Aspekte der Online-Mediation geht dieser Blogbeitrag ein.)

Terminfindung

Nun, die erste Herausforderung bestand darin, passende Termine für alle Beteiligten zu finden. Da einer der Brüder nach Island gezogen war und eine Schwester ihren Lebensmittelpunkt nach Boston verlagert hatte, galt es, die Zeitverschiebung bei der Terminfindung zu berücksichtigen. Grundsätzlich bestand der Wunsch, zumindest zwei wöchentliche Termine stattfinden zu lassen, um den Schwung aufrechtzuerhalten und ein baldiges Ergebnis zu erzielen.

Die ersten Gespräche

Beim ersten Termin, bei dem alle Geschwister virtuell anwesend waren, galt es erst einmal, die internen Rollen zu verstehen oder zumindest zu erahnen. Es wurden Vorstellungen und Wünsche bezüglich der Mediation abgefragt und ein Bild des bestmöglichen Ausgangs der Mediation auf dem Flipchart skizziert. Die Geschwister hielten untereinander fest, dass sie alle vier miteinander fair und gleichberechtigt umgehen wollten und sie dabei eine finanzielle Trennung der persönlichen Belange in Zukunft anstrebten.

Eine Person sitzt am Computer und telefoniert via Video mit anderen.
Die Gespräche fanden online statt, was aufgrund der unterschiedlichen Zeitzonen eine Herausforderung bei der Terminfindung war.
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Ein weiterer wichtiger Punkt war darüber hinaus die von den Schwestern Robert gegebene Vollmacht, auch in ihrem Namen zu sprechen, falls eine von ihnen aus beruflichen Gründen nicht teilnehmen konnte. Die Lebensgefährtin des Verstorbenen hatte auf dem ihr von Gesetzes wegen zustehende einjährige Vorausvermächtnis bezüglich des gemeinsamen Lebensmittelpunktes bestanden. Somit war das ebenfalls in der Erbmasse befindliche Haus, das seit vielen Generationen im Besitz der Familie gewesen war, vorerst nicht zu Wohnzwecken verfügbar.

Die Bedürfnisse

Elvira, die mit ihrem Mann nach Boston gezogen war, überlegte, den Wohnsitz wieder nach Österreich zu verlagern, und hatte daher mittelfristiges Interesse an einer der drei Liegenschaften. Claudia wiederum, die andere Schwester, hatte keine unmittelbaren Wünsche an die Verlassenschaft. Ihre Selbstständigkeit florierte, weswegen sie finanziell gut abgesichert war. Ihr Hauptinteresse galt dem Familienzusammenhalt und einem guten Miteinander auch nach Abschluss der Gespräche. Letzteres war auch für Peter ein wesentlicher Eckpfeiler einer zu erarbeitenden Lösung, wobei er sich aufgrund diverser Vorempfänge etwas in der Schuld der Geschwister beziehungsweise der Erbschaft sah. Darüber hinaus war es Peter ein besonders großes Anliegen, von seinen Geschwistern auch gehört und verstanden zu werden. Robert, der seit dem Ableben des Vaters die Koordination der Geschwister übernommen hatte, war vor allem an einem baldigen Ergebnis gelegen. Zu viel Energie war aus seiner Sicht bereits in die aufreibenden innerfamiliären Diskussionen geflossen.

Besonderheiten

Besonders war in dieser Mediation jedoch weniger die Ausgangslage als der auffällige Respekt vor der Sichtweise der jeweils anderen, trotz der noch hervortretenden Differenzen. Die jeweils zweistündigen Termine wurden von der ersten bis zur letzten Minute haarscharf zur inhaltlichen Diskussion genutzt.

Wiederum zeigte sich, dass die beste Mediation oftmals jene ist, die sich in Zurückhaltung und Beobachtung übt. Auch war die gemeinsame Familiengeschichte naturgemäß für die vier leichter zu durchblicken, weswegen sich die mediativen Interventionen primär auf Situationen beschränkten, in denen das Wording emotional wurde und die eine oder andere potenzielle Kränkung abgefangen werden wollte.

Zahlen und Fakten

Nachdem auf dem Flipchart der Wunsch nach "Zahlen und Fakten" notiert stand, beschäftigte sich der dritte Termin mit diesem Thema. Die Geschwister listeten zuerst die in der Erbmasse befindlichen Aktiva auf, die neben relativ geringen Beträgen auf Konten fast ausschließlich durch Immobilien repräsentiert wurden. Die bisher entstandenen Passiva waren primär zwischen den Geschwistern entstanden. Außerdem waren bei Peter durch einen vorübergehenden finanziellen Engpass Zahlungsprobleme entstanden, die er durch mehrere kleinere Konsumkredite hatte abwenden können. Es war den anderen Geschwistern ein wichtiges Anliegen, diese Kredite baldigst begleichen zu können.

In weiterer Folge stellte sich heraus, dass seitens der Geschwister die Befürchtung bestand, dass die Bank durch die Fälligstellung des Kredites direkt oder indirekt ins Grundbuch der Liegenschaften kommen und somit Einfluss auf den Familiensitz erhalten könnte. Die Bitten der Geschwister an Peter, dieser möge durch diverse Unterschriftsleistungen sicherstellen, dass seine Probleme nicht auch seine Geschwister betreffen, wurden von Peter gehört und respektiert. Als dann die Zahlen auf dem Tisch beziehungsweise auf dem Flipchart lagen, konnten sich alle ein Bild der Summen machen, die im Falle eine Auszahlung zum Tragen kommen würden.

Alles neu?

Beim nächsten Termin waren Robert, Claudia und Elvira erstaunt, als Peter in einem kurzen Statement die Berechnungsgrundlage der Immobilienbewertung infrage stellte. Er bezog sich dabei auf ein Angebot, welches einen höheren Kaufpreis für eine der Liegenschaften in Aussicht gestellt hatte, und forderte nun, dass sich die auszuzahlende Summe aufgrund dieses Werts berechnet. Die Stimmung kippte nun etwas, und bisher nicht adressierte Kränkungen und Enttäuschungen wurden in einem lauteren Ton angesprochen.

Die Emotionen brechen durch

Dass in einer Erbschaftsmediation wie auch in so gut wie jeder anderen Form der Mediation einmal die "Masken" fallen und die Emotionen hochkochen, ist durchaus nachvollziehbar. Die Kunst der Mediation sollte dabei sein, den schmalen Grat zwischen Anerkennung und Wertschätzung der Emotion einerseits und der Vermeidung von nachhaltigen Kränkungen andererseits zu erkennen und einzuhalten. Aufgrund des Settings und der dadurch gegebenen Einschränkungen (schließlich saßen alle Beteiligten an unterschiedlichen Orten) war es nur möglich, mit Mimik, Gestik und auch schlichtem Unterbrechen seitens des Mediators die Situation nicht aus dem Ruder laufen zu lassen.

Wechsel in die Shuttle-Mediation

Der Termin endete frustriert. Die Stimmung war gereizt, als sich zwei der Geschwister aus beruflichen Gründen verabschieden mussten und die anderen beiden kein gesteigertes Interesse an einer weiteren Diskussion hatten. Zu allem Überdruss musste der knapp darauf angesetzte Termin noch kurzfristig verschoben werden, was offenbar das sprichwörtliche Fass zum Überlaufen brachte. Robert, Claudia und Elvira stellten die bisher gestundeten Rechnungen und Darlehen an ihren Bruder Peter fällig und forderten einige schon länger gegebene Versprechen unter Setzung einer Frist ein. Die Enttäuschung war groß.

Um den Kontakt jedoch weiterhin aufrechtzuerhalten, wurde nun in die sogenannte Shuttle-Mediation gewechselt. Einzeltelefonate ersetzten die Gruppentermine, bei denen die Bedürfnisse der Geschwister abseits der Zahlen noch einmal herausgearbeitet werden konnten. Während es Peter darum ging, vorurteils- und vorwurfsfrei von seinen Geschwistern akzeptiert zu werden, war es den anderen drei wichtig, dass ihre Bemühungen im Sinne der Erhaltung des Familienerbes auch von Peter erkannt und in Wort und Tat gewürdigt werden.

Vorteil der Shuttle-Mediation

Zwar ist die Arbeit in Präsenz aller Beteiligten, das sogenannte "Präsenzprinzip", eine wichtige Maxime der Mediation, doch bestätigt auch hier die Ausnahme die Regel. Manchmal ist es besser, davon abzugehen und in Einzelgesprächen festgefahrene Standpunkte in Bewegung zu bringen. Während es oftmals den Mediandinnen und Medianden schwerfällt, in Gegenwart der anderen Parteien von ihren fixen Vorgaben abzugehen, so gelingt dies oftmals besser im vertraulichen Zweiergespräch mit der Mediatorin oder dem Mediator. Wie schon Friedrich Glasl in seiner bekannten Darstellung der Eskalationsdynamik zeigt, ist der (empfundene) Gesichtsverlust ein gefährlicher Kipppunkt im Konflikt. Schafft man in der Mediationsarbeit, die Rückkehr zum Konsens für alle gewinnbringend zu gestalten, so ermöglicht dies immer wieder eine positive und für alle erfreuliche Wendung.

Überraschung

Nun überschlugen sich die Fortschritte nahezu. Am Tag nach den Einzelgesprächen landete eine Mail im Posteingang, die ein Gespräch zwischen den Brüdern ankündigte. Bereits am nächsten Tag folgte eine SMS, welche mich als Mediator persönlich überaus freute: "Danke für die Unterstützung, wir haben uns gestern geeinigt und alles unterschrieben!"

Feedback

Im Nachhinein kam es zu einer kurzen Feedbackrunde, die sowohl lehrreich als auch interessant war. Jene Punkte, die von den Geschwistern als besonders positiv genannt wurden, waren die terminliche Flexibilität, die durch das Onlinesetting ermöglicht wurde, die zurückhaltenden Interventionen und noch einige andere Punkte, die ihnen ermöglicht hatten, einerseits offen zu reden, andererseits jedoch nicht Gefahr zu laufen, die Brücken zueinander zu zerstören. Die Mediation hatte ihnen den "safe space" geboten, ihre Bedürfnisse offen zu adressieren. Die Lösung kam nach den Aussagen der Geschwister dann "wie von selbst".

Erkenntnis

Mediation wirkt. Sie unterstützt die Medianden bei der Lösung von Konflikten. Was soll denn ein Mediator anderes sagen. Wir arbeiten mit Fragen, Interventionen, Settings und vielen anderen Methoden, um gemeinsam mit den Mediandinnen und Medianden das Ziel zu erreichen. Die allerwichtigsten Schritte jedoch setzen nicht wir als Mediatorinnen und Mediatoren. Jene, die uns beauftragen, die uns ihr Vertrauen schenken und schon dadurch ihr Commitment beweisen, sind die Träger der Mediation. Wir bereiten ihnen und dem Konsens schlicht den Weg. (Ulrich Wanderer, 29.4.2024)